Mais oui: Multicanal et Binaural! – FISM 2013 bei Radio France Paris

Baustelle Maison der Radio FranceQuelle: wb

Das Maison de Radio France feiert dieser Tage seinen 50. Geburtstag – und wird kräftig renoviert. Baulich: mit einem neuer Konzertsaal und neuen Studios. Technisch: mit der Einführung des Digital Radios. Inhaltlich: mit neuen Ideen und Projekten. Dabei legen die Franzosen auch viel Wert auf den Klang der Zunkunft: Surround Sound und Binaural. Das 16. Forum International du Son Multicanal (FISM) bei Radio France präsentierte neueste Technikentwicklungen und viele tolle Klangerlebnisse….

 

 

Die tatsächliche Dimension des Maison de Radio France erschliesst sich erst aus der Luft gesehen; zum Beispiel von gegenüber, dem Eiffel Turm. Ein riesiges Raumschiff in Form eines Omega scheint da direkt am Ufer der Seine gelandet zu sein. Als es vor 50 Jahren eingeweiht wurde (eine tolle Website stellt Geschichte und Gegenwart gegenüber) gab es noch das ORTF, mit Radio und Fernsehenprogrammen. Längst aber sind beide Einheiten getrennt (und es gibt derzeit auch keine Ansätze das zu ändern). Aktuell wird der Komplex renoviert: Ein neuer Konzertsaal und neue Studios entstehen. Fertiggestellt werden sollen sie nächstes Jahr. In dem Gebäude befinden sich mehrere große Studios mit Auditorien. 250 Menschen haben im Studio 105 „Charles Trénet“ Platz. Die steilen Rängen waren an beiden Tagen gut besetzt.

Christian HugonnetQuelle: wb

Christian Hugonnet

Christian Hugonnet hat früher als Tontechniker mit Musikgrößen wie Stockhausen, Boulez und vielen anderen gearbeitet. Inzwischen ist er nahmhafter Impulsgeber und umtriebiger Organisator der Audioszene in Frankreich. Für die 16. Ausgabe des FISM (Forum International du Son Multicanal) hatte er ein umfassendes Programm zusammengestellt. Aber es gab nicht nur trockene Technikvorträge – mindestens genauso lang gab es Hörfutter: mit drahtlosen Kopfhörern (daher mussten alle Handies abgeschaltet bleiben. Ja, das geht!) wurden interessante Binaural-Produktionen zugespielt und eine perfekt eingestellte Wellenfeld-Synthese-Anlage (WFS) mit 30 Lautsprechern sorgte dafür, dass 5.1, 7.1 oder 9.2 Surround Sound Produktionen an jeden Platz optimal projeziert wurde. Toningenieur Jacques Laville und die Band Emakio demonstrierten zudem, welch ungemein transparenter Sound mit dieser Technik auch bei Live-Konzerten kreiert werden kann.

FISM 2013 @Radio France Studio 105 - WFS SoundQuelle: wb

Inhaltlich drehte sich diesmal alles um die Frage, wie Mehrkanal-Produktionen und Binaural-Technik sich weiterentwicklen und gegenseitig ergänzen werden. Dabei scheint es absehbar, dass der Schritt zur „objekt–basierten Produktion“ konsequent ist. Jedes Klangereignis wird zu einem Objekt, dem Informationen, wo es sich im Raum befindet (links, rechts, vorne, hinten, oben, unten) und mit welchen Raumanteilen diese Position charakterisiert ist, als Medtadaten mitgegeben werden – anstatt in einem kanalbezogenen (Lautsprecherposition) System fixiert zu sein. Der Vorteil: Je nach Wiedergabesystem (Mono, Stereo, 5.1 bis 22.2 oder auch binaural) wird wird der Klang dann entsprechend berechnet und positioniert (gerenderd).

Nach diesem Prinzip funktioniert beispielsweise Dolby ATMOS im Kino. Die FISM-Besucher konnten abends „En Solitaire“, den ersten französischen Film, der mit dieser Technik gemischt wurde, in einem Kino am Pigalle besuchen und mit den Toningenieuren diskutieren (In Deutschland gibt es derzeit nur eine handvoll Kinos mit dieser Technik. Zum Beispiel das Cinecittà in Nürnberg).

Von ersten Erfahrungen der praktische Anwendung objekt-basierter Produktion im Rundfunk und ihren Perspektiven berichtete Tony Churnside von der BBC. Dort wurden bereits das Hörspiel „Pinocchio“ so produziert und verschiedene weitere Anwendungen getestet (siehe mein Blogbeitrag hier). Auch Radio France und France Television haben Projekte am Start.

Aber für eine durchgängige Einführung in der Rundfunk-Praxis fehlen noch einige Glieder in der Kette und sind etliche Fragen ungeklärt. Das Fileformat MDA, das die Speicherung, Weiterverarbeitung und Belieferung solcher „immersiver“ Audioformate ermöglichen soll, präsentierte Jean-Marc Jot von dts.

Was MPEG-H bei binauralen Klängen und 3DAudio leisten kann, erläuterten Jan Plogsties vom Fraunhofer IIS in Erlangen Clemens Par von Swissaudec.

Am zweiten Tag wurden dann hauptsächlich neue und interessante High Resolution Surround Sound Produktionen vorgeführt. U.a. vom IRCAM, Radio France, sowie der renommierten Mastering Ingenieurin Darcy Proper. Alle Stilrichttungen und Genres waren vertreten: Soundscapes, Klassische Musik, Avantgarde, Pop, Jazz, Rock. Und einmal mehr war das Hören über die WFS-Anlage ein Genuss (den man am liebsten mit nach Hause nehmen würde).

Das Roundtable zum Thema „3D Sound und seine Anwendung“ moderiert von Matthieu Parmentier (France Television) brachte die beiden Tage auf den Punkt: Ja, die zur Produktion notwendigen Tools sind vorhanden – was wir jetzt aber brauchen sind geeignete „Leuchtturm-Projekte“, mit denen die weiteren Möglichkeiten und Notwendigkeiten ausgelotet und durchgespielt werden können. Vor allem aber muss der Kontakt zu CE-Industrie hergestellt werden, damit in Geräten und Gadgets diese Technik Einzug findet.

Beeindruckend war vor allem, mit welchem Elan, Aufwand und Selbstbewusstsein, Radio France sich dem Thema Surround Sound und Binaural widmet. Auch wenn in Frankreich (ungleich der Situation in Deutschland) die mehrkanal-fähigen digitalen Verbreitungswege DVB-S, DVB-C und DAB+ (bisher) keine Rolle spielen, produzieren die Kolleginnen und Kollegen dort viel. Anstatt OnAir zu gehen, werden die Produktionen Online zur Verfügung gestellt auf der Website nouvOson. Binnen eines Jahres hat das Radio France Team um Anne Brunel und Hervé Déjardin hier ein breites Portfolio an 3DAudio-Hörererlebnisse aus allen Sparten veröffentlicht: Musik, Klangkunst, Reportage…

nouvOsonQuelle: nouvOson.fr

Interessant ist, dass man – je nach Hörsituation – bei vielen Stücken zwischen 5.1 Surround und Binaural- wählen kann. Die Mehrkanalproduktionen werden für das Abhören mit Kopfhörern (mit dem Smartphone) nach binaural umgerechnet. Radio France Partner Orange Labs, die Entwicklungsabteilung des französischen Telefonanbieters, arbeitet sogar an der Individualisierbarkeit von HRTF (die TK-Anbieter versprechen sich von dieser Forschung vor allem eine Verbesserung bei Telefonkonferenzen).

Als Fussnote der Geschichte: Die erste binaurale (eher stereophone) Übertragung hat Clément Ader mit seinem Theatrophon bereits 1881 aus der Pariser Opéra Garnier per Telefonleitungen realisiert….

 

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