Radio und Hifi: 90 Jahre guter Ton

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Quelle: wb

Das Radio hat die Entwicklung der Audiotechnik maßgeblich vorangetrieben. Aufnahme, Verbreitung und Wiedergabe sind heute enorm perfektioniert. Ein Rückblick auf Geschichte, Bestandsaufnahme der Gegenwart und Ausblick auf Zukunft des Mediums.

Rundfunk: Ein Motor für Gesellschaft. Kultur und Wirtschaft

Nachdem in Berlin am 29. Oktober 1923 die Funkstunde aus dem Vox Haus auf Sendung gegangen war, folgten im Jahreslauf 1924 nacheinander am 1. März die Mitteldeutsche Rundfunk AG in Leipzig, am 30. März die Deutsche Stunde in Bayern in München, am gleichen Tag auch die Südwestdeutsche Rundfunk AG in Frankfurt, am 2. Mai die Nordische Rundfunk AG in Hamburg, am 10. Oktober Westdeutsche Funkstunde in Münster. Kurz nacheinander entstanden neun Rundfunkanstalten, die binnen 5 Jahren unter dem Dach der Reichsrundfunkgesellschaft bereits ein dichtes Sendernetz gespannt hatten und 3 Millionen Rundfunk-Teilnehmer zählten. Diese damals durch Staat und Reichspost betriebenen Sendergesellschaften sind die Urahnen der heutigen öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland.

 

Quelle: Deutsches Rundfunk Archiv

Bild: Deutsches Rundfunkarchiv

Besonders denkwürdig ist, dass das Radio „auf Sendung“ ging, als die Weimarer Republik gerade ihre ersten großen Belastungsproben erlebte: Wirtschaftskrise, Inflation, Währungsreform, extremistische Aktionen von Links und Rechts, politische Instabilität. Die Einführung des „Unterhaltungsrundfunks“, wie er offiziell genannt wurde, fand also unter schwierigen zeitgeschichtlichen Vorzeichen statt, ihm gingen langwierige politische Diskussionen voraus. Und sie wurde dennoch zum Erfolg – weil dieses neue Medium die Bedürfnisse der Menschen nach „drahtloser Unterhaltung und Belehrung“ gleichermaßen auf einen Schlag erfüllte. Noch etwas darf nicht vergessen werden: Es handelt es sich beim Rundfunk (wie Jahrzehnte später auch beim Internet) um eine ursprünglich vom Militär genutzte Technologie. Während des ersten Weltkriegs hatten große Industrieunternehmen wie Siemens und AEG in Deutschland die Funktechnik perfektioniert. Mit dem Ende des Krieges und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Umbrüchen kam die Frage auf, wie sich sie weiter nutzen und vor allem mit ihr Geld verdienen ließe. Die geniale Idee des „Rund-funks“ – einer sendet, viele empfangen – wie auch die Tatsache, dass Rundfunkwellen nicht an Landesgrenzen Halt machen, verschob dann auch die Prämissen. Rundfunk wurde jetzt als Medium der Völkerverständigung gepriesen und begrüßt: Wenn die Völker über den Rundfunk hören können, was die andere sagen, würde es so etwas wie den vorangegangenen großen Krieg nie mehr geben, hofften Intellektuelle wie der Rundfunk- und Filmtheoretiker Rudolf Arnheim. Und der Dramatiker Bert Brecht plädierte sogar dafür, den Rundfunk vom reinen Distributions- zum demokratischen Kommunikationsapparat umzubauen Dass der Rundfunk bald darauf propagandistisch und manipulatorisch von den Nazis missbraucht werden würde, ahnte er nicht. Brechts Visionen realisieren sich erst dieser Tage: Hörerbeteiligung, Crowd Sourcing, Radio und Social Media…. Drittens ist da noch eine wirtschaftliche Perspektive. Neben den Großunternehmen, die sich damals bereits mit Rundfunktechnik beschäftigten, entstanden binnen kürzester Zeit unzählige neue kleine Firmen, heute würde man sie als Start-Ups bezeichnen. Zunächst vielleicht nur als Ein-Mann-Betrieb, trieben sie die Entwicklung der Rundfunk- und Audiotechnik findig und in Atem beraubendem Tempo voran. Um nur ein Beispiel von tausenden zu nennen: Siegmund Loewe und Manfred von Ardenne, haben zusammen nicht nur den ersten „IC“ in Form der Dreifachröhre im OE333 erfunden, sondern bald auch das elektronische Fernsehen, wie wir es heute kennen. Tragisch ist, dass LOEWE als einzige Firma, die seit den Anfangstagen die Entwicklung des Rundfunks maßgeblich beeinflusst hat, gerade jetzt – auch sie feiert just ihren 90. Geburtstag – angeschlagen eine Neuorientierung suchen muss. Sie symbolisiert einmal mehr die Umbrüche der gesamten Branche.

Quelle: Deutsches Rundfunk Archiv

Dies zeitigt die erste Ausprägung eines technologisch-wirtschaftlichen Eco-Systems, wie es sich seitdem auf vielerlei Gebieten wiederholt hat – am prominentesten bei der Entwicklung der Computertechnik, des Internets und der Neuen Medien. Bereits Ende 1924 – also noch im Geburtsjahr des Rundfunks in Deutschland – fand in Berlin eine erste Rundfunk- und Audiotechnikausstellung statt , um Entwicklung, Austausch und öffentliches Interesse für die neue Technik zu befördern.

Bahnbrechende Entwicklungen für den „guten Ton“

Dieses Eco-System Rundfunkindustrie – bestehend aus Sendeanstalten, Unterhaltungselektronikherstellern und natürlich begeisterten Hörern – hat die technischen Entwicklungen bestimmt. Immer getrieben von der Vorstellung, die Qualität von Ton und Bild stetig zu verbessern, um die Eindrücke so zu perfektionieren, dass die Illusion der tatsächlichen Gegenwärtigkeit eines – dennoch nur über ein technisches Medium vermittelten – Kunstwerks entsteht. Techniker und Entwickler mühen sich dabei (ohne es oft zu wissen), das berühmte Verdikt Walter Benjamins zu widerlegen, der konstatiert hatte, dass das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ seine Aura verliere. Freilich entstand Benjamins gleichnamiger Aufsatz (erschienen 1935) noch vor einem vergleichsweise bescheidenen Erfahrungshorizont: Schallplatten rauschen und knisterten ungeheuerlich und nach 4 Minuten spätestens musste die Scheibe umgedreht werden – kaum Zeit genug, um in Kontemplation versinken zu können; das Radio quäkte mono und knatterte, das Fernsehbild war briefmarkengroß und schwarz-weiß…. Benjamin erlebte (wegen seines frühen Todes auf der Flucht vor den Nazis 1940) keine der Verbesserungen, die seitdem aus den Labors der Rundfunkanstalten und Endgeräten-Hersteller ein Massenpublikum begeisterte. Einige wichtige Stationen auf dem Weg zum „guten Ton“:

  • 1926 Einführung der elektrischen Aufnahme bei Schallplatten

Der Rundfunk brachte die Schallplattenindustrie nicht auf, sondern weg vom Trichter, indem er bewies, daß mit elektrischen Mikrofonen ein Klangereignis besser eingefangen werden kann.

  • 1935 Vorstellung des Tonbandgeräts

Die ersten AEG-Geräte wurden im Rundfunk zunächst nur für Wortaufnahmen genutzt, da Musikaufnahmen noch deutliche Störgeräusche hatten (Problem der Vormagnetisierung)

  • 1942 Stereo-Tonbandaufnahmen im Berliner Haus des Rundfunks

Per Zufall wurde die Hochfrequenzvormagnetisierung entdeckt. Damit erzielte das Tonband jetzt HiFi-Klang. Der Zweikanaltonkopf war bereits vorhanden. So entstand die noch heute beeindruckende Aufnahme von Beethovens 5. Klavierkonzert mit Walter Gieseking – (bei dem im Hintergrund Flakfeuer pocht)

Quelle: Deutsches Rundfunk Archiv

Quelle: Deutsches Rundfunk Archiv

  • 1949 Einführung von UKW

Die Frequenzneuordnung nach dem Kopenhagener Wellenplan gewährte Deutschland nur noch wenige Mittelwellenfrequenzen. Doch das während des Krieges entwickelte, frequenzmodulierende (FM) UKW fiel nicht darunter – und klang zudem viel besser mit einem Frequenzgang bis 15 KHz.

Quelle: BR Historisches Archiv

 

  • 1963 Einführung von Stereofonie in den ARD-Radioprogrammen

Der SFB hatte 1958 bereits über zwei UKW Sender Stereo übertragen, jetzt wurden zunächst alle Kultur-, später dann auch alle anderen Programme auf Stereo umgestellt.

Quelle: HR-Archiv

 

  • 1973 Kunstkopfstereofonie

Während die Plattenindustrie Quadrophonie als (analogen) Raumklang für‘s Wohnzimmer propagierte, setzen die deutschen Sendeanstalten auf den „Dummy“. Bis Mitte der 80er Jahre wurden zig Hörspiele und Features produziert. Das erste, „Demolition“ war eine Co-Produktion von RIAS, WDR und BR und wurde auf der Funkausstellung mit viel Resonanz eingeführt. Die Hörer waren begeistert – auch wenn sie dafür im Wohnzimmer die Kopfhörer aufsetzen mussten. Leider schlief die Produktion wieder ein, bevor über den Walkman in den 80er Jahren das Hören mit Kopfhörern zum Massenphänomen wurde. (Mehr zur Geschichte der Kunstkopfstereofonie hier auf meinem privaten Blog)

  • 1978 erste Digitalaufnahme im BR

Quelle: BR

Produktions- Speicherung- und Distributionsprozesse verändern sich grundlegend – anfangs allerdings nur in 12bit-Technik. Bald darauf Start einer Sendereihe „Bayern 4 Digital“ in der ausschließlich digitale Eigenproduktionen präsentiert werden.

  • 1989 Start des Digitalen Satellitenradios

Dieses System war für Fans das Non-Plus-Ultra – leider waren es zu wenige, so dass der Betrieb 1999 wieder eingestellt wurde

  • 1995 Beginn von Digitalrundfunk DAB

Die neue Technologie verspricht nicht nur zukunftsträchtige Zusatzdienste, sondern vor allem einen störungsfreieren Empfang mit besserer Klangqualität.

  • 2005 5.1 Surround Sound im Radio via DVB-S und DVB-C

Nach zwei Jahren Versuchsprogramm nahm die ARD einen gemeinsamen DVB-S Radio Hörfunktransponder auf Astra in Betrieb. Dabei wurde auch die optionale Übertragung von 5.1 Surround Sound in Dolby Digital implementiert.

  • 2011 Digitalradio-Start in Deutschland mit DAB+

Öffentlich-rechtliche und kommerzielle Radioanbieter einigen sich auf die Einführung des verbesserten Audiokodierverfahrens AAC bei DAB+. Das Digitalradio kommt gut aus den Startlöchern: Inzwischen wurden rund 3 Millionen Radiogeräte mit dem neuen Standard verkauft.

Noch mehr zur Geschichte und den Stationen der Rundfunk und Audiotechnik – garniert mit vielen Klangbeispielen – gibt’s auf einer interaktiven Zeitleiste auf der Webseite von BR-KLASSIK.

 

Gute Zeiten, schlechte Zeiten? – Neue Zeiten!

Viele Errungenschaften also, die Rundfunkanstalten und Unterhaltungselektronikhersteller da in langen Jahren gemeinsam und erfolgreich – für unsere Hörer und Ihre Kunden – zu Wege brachten. Klar, es gab immer wieder auch Flops. Aber am liebsten erinnert man sich doch an die guten Zeiten. Inzwischen ist es aber so, dass die Rundfunk- und Unterhaltungselektronikindustrie immer weniger die eigentlichen Technologie-Trendsetter sind, sondern eher Technologie-Getriebene. Stattdessen kommen die Impulse aus einer Branche, die noch vor wenigen Jahren, vorwiegend graue Kisten lieferte – die Computer Hard- und Software-Industrie – oder, von denen man überhaupt nur schwer versteht, wie sie funktionieren und mit was sie ihr Geld verdienen – die Informationsverarbeiter. Konkret: Die Apples, Microsofts und Googles dieser Welt, oder eines jener findigen und dynamische Start-Ups, die irgendwann von einem Big Player geschluckt werden. Solche neuen Technologien und Anwendungen verbreiten sich „viral“, finden überraschend schnell hohe Akzeptanz, etablieren sich, und werden bestenfalls offiziell (de jure) oder praktisch (de facto) zum Standard erklärt. Viele verschwinden aber auch einfach wieder. Seit das Internet vor 20 Jahren zum Massenmedium wurde beschleunigen sich diese Prozesse „kreativer Zerstörung“ (Josef Schumpeter 1942) und „disruptiver Technologien“ (Clayton Christensen 1997). Manche nennen das „die neue Unübersichtlichkeit“. Die Medien und Unterhaltungsindustrie, insbesondere Radio- und Fernsehen, sind dem besonders ausgesetzt. Diversifizierung ist die Folge: Nach außen hin die Präsenz auf allen möglichen Plattformen und Verbreitungswegen ebenso, wie nach innen die Anwendung von Technologien und Standards die längst nicht mehr im eigenen Haus, nach eigenen Bedürfnissen, Anforderungen und Kriterien entwickelt wurden.

Radio ist digital!

Nehmen wir, zum Beispiel, das Internet als Verbreitungsweg für Radio-Programme. Manche meinen, die klassische Rundfunktechnik sei durch IP-Technik hinfällig geworden, oder werde bald von ihr abgelöst. Nette Vorstellung, aber zu kurz gedacht. Denn Internet-Empfang funktioniert als 1 zu 1-Verbindung und ist vor allem nicht „Free-to-Air“, also ohne Zusatzkosten. Man muss nur rechnen können: 4 Stunden Radiohören täglich (bei nur mittlerer Qualität @ 96kbit/s AAC), summieren sich allein auf ein Datenvolumen von 500 MByte pro Monat. Das mögen bei einer Festnetz-Flatrate „Peanuts“ sein – aber vor genau einem Jahr wollte die Telekom die Flatrate neu definieren und ab 70GB/Monat Verbrauch abdrosseln. Das ist zwar vom Tisch, dennoch sind die Tage eines egalitären Internets, in dem alle Datenpakete frei, gleich und brüderlich umeinander sausen, absehbar endlich. Managed-Services-Business-Modelle – wer mehr zahlt kriegt eher Vorfahrt – liegen fertig in allen Netzbetreiberschubladen. Bei Smartphones indes ist mit 4 Stunden Radio übers Netz schon mal die vertragliche Monatsinklusive verdudelt – noch ganz ohne Mobilsurfen, E-Mails, Socialnetworks, Video usw. Aber auch jeder Radioanbieter muss zusätzlich zahlen: an die Netzwerkbetreiber, für jeden Internet-Stream, der aufgerufen wird. Bei Massenprogrammen mit Millionen Hörern unbezahlbar. Eine unlängst im Auftrag von BR und BLM publizierte Studie der TU München rechnet vor, daß eine LTE-Versorgung mit Radio 40 mal teurer wäre als Rundfunk, respektive DAB+. Eine ähnliche Studie aus Schweden konstatiert, daß die Netzwerk- und Mobilfunkpreise um gar 96% fallen müssten, um mit den Kosten der Rundfunkverbreitung gleichzuziehen. Ganz abgesehen von… und jetzt erst kommt das wirkliche Problem: Die Netzwerke – egal ob Festnetz oder Mobilfunk – sie haben weder die Kapazität, noch die Abdeckung, noch die Zuverlässigkeit der Rundfunkversorgung. Das herzustellen würde nochmals Milliarden-Investitionen bedeuten, die dann freilich wieder von den Kunden – also uns allen – bezahlt werden müssten. Und wie gesagt: Die Beispiele beziehen sich allein auf Radio und damit Audio. TV und Video spielen in ganz anderen Bandbreiten-Dimensionen. Die Diskussion um Ausbau von Breitbandversorgung, LTE oder andere neue Technologien hin oder her: „Rund-Funk“ wird auf absehbare Zukunft – und jetzt ein paar politische Floskeln – „alternativlos“ bleiben, ebenso wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland und die Public Service Broadcaster in Europa „systemrelevant“ für freiheitliche Demokratien sind und bleiben. Die Strategie der Rundfunkanstalten ist damit also klar. Das Kerngeschäft ist und bleibt hochwertige Inhalte zu produzieren – sowohl informative als auch unterhaltende. Fernsehen, Internet, Zeitung, Bücher – alle Medien heute sind entweder per se digital, beziehungsweise haben den Schritt ins Digitale entweder bereits vollständig vollzogen oder sind gerade dabei. Es gibt kein Zurück. Erst recht nicht für das Radio. Daher: Radio ist digital! Auch wollen die Rundfunkanbieter ihre Inhalte weiterhin in bestmöglicher Qualität von Ton und Bild zum Publikum bringen.

Quelle: wb

 

Alles eine Frage der Qualität und des Geldes

Man muss es sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Die Digitalisierung ist per se nicht bloß ein technologischer, sondern auch ein ökonomischer Prozess. Erinnern wir uns daran, 30 Jahre nach Einführung der CD als digitalen Massenprodukt, was die Digitalisierung einst verhieß, genauer, was uns von Marketing versprochen wurde: Jene Qualität, die im Studio vorhanden ist und erzeugt wurde, soll ohne Abstriche beim Kunden ankommen. Analoge Kopie-Qualitätsverluste ade! Erinnern wir uns aber auch, welche heftige Diskussionen zwischen Verfechtern des Analogen und Befürwortern des Digitalen tobten, was nun tatsächlich besser klinge, musikalischer. Die Währung des Analogen ist das in erster Linie das Material: Masse, Güte, Sorgfalt, Verarbeitung. Wohingegen Digitales immateriell definiert ist: Prozessorgeschwindigkeit, Encodierung und Decodierung, Abtastrate, Bandbreite. Von all diesen ist letzteres der entscheidende Faktor, die Stellschraube über die Qualität sich regulieren lässt. Keine Frage: Das Delta – der Unterschied zwischen Studioqualität und dem, was beim Hörer ankommt – ist noch immer da, nur ist es inzwischen denkbar gering. Darüberhinaus bemühenbemüghen sich die Rundfunkanstalten, diese Qualität den Gegebenheiten verschiedener Verbreitungswege optimal anzupassen. Bei der Verbreitung seines Programms BR-KLASSIK über DVB-S Radio verzeichtet der BR auf jegliches Sendeprocessing, denn das Programm wird ja nur stationär empfangen, über Receiver im Wohnzimmer, wo einigermaßen gute Abhörbedingungen gegeben sein sollten. Gleiches gilt bei der Einspeisung ins digitale Kabel. Bei der digitalen terrestrischen Ausstrahlung – also DAB/DAB+ – hingegen ist die Aufbereitung des Signals notwendig. Denn auf diesem Weg sollen und müssen vielerlei Geräte in verschiedenen Umgebungen bedient werden: Küchen- und Schlafzimmer- und Autoradios ebenso, wie absehbar immer künftig Smartphones (siehe Eurochip-Initiative der Europäischen Rundfunkunion, EBU). Doch auch eine hochwertige Audioqualität von Digitalradio in stationären – und automobilen – HiFi-Geräten ist sinnvoll und wünschenswert. Daher hat der BR frühzeitig zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen die Möglichkeiten von MPEG Surround getestet: Angefangen mit dem „Surround Tag auf Bayern 4 Klassik“ (inzwischen BR-KLASSIK) im Jahr 2008, während des DAB+-Sendeaufbaus 2011 mit einem speziellen Testkanal, bis heute. Radio in Surround Sound sollte genauso einfach funktionieren wie Stereo. Und eigentlich sollte sich der Musikliebhaber überhaupt keine Gedanken darüber machen, über welchen Verbreitungsweg und nach welchem technischen Verfahren hervorragender Klang geliefert wird…

Etwas Zukunftsmusik

Ein bereits erwähnter Vorteil der digitalen Rundfunktechnik soll nochmals genauer betrachtet werden: Skalierbarkeit. Die Stellschraube „Datenrate“ ist flexibel, an ihr kann relativ unkompliziert gedreht werden. Noch befinden sich die Sendernetze für Digitalradio in Deutschland im Aufbau. Aktuell erreichen die Hörfunkprogramme des BR eine Versorgungsdichte von rund 90%. Das Ziel ist 99%, entsprechend der bisherigen UKW Versorgung. Momentan sind Multiplexe-Kanäle mit den BR-Programmen voll und die Zuweisungen der Datenraten für die verschiedenen Radioprogramme erlauben keine großen Veränderungen. Noch. Denn bereits jetzt laufen Planungen für weitere so genannten „Bedeckungen“ und damit auch Überlegungen, in welcher Konstellation die Programme auf die Multiplex-Kanäle gelegt werden. Dann werden die Karten im Datenraten-Qualitätsspiel neu gemischt. Zweitens: Im Datenstrom von Digitalradio können Metadaten mitgeliefert werden (die allerdings von der Gesamtdatenrate abgezogen werden müssen). Bekannt ist die Nutzung für die Angaben zu Titel, Komponist und Interpreten. Da immer mehr Radiogeräte ja auch Displays haben, werden zusätzlich Bilder, Slideshows oder Infografiken geliefert, um Radio auch visuell attraktiv zu machen. Solche Zusatzdienste werden sehr geschätzt. Daneben gibt es aber eine technisch vorgesehene, bislang aber ungenutzte Option für Metadaten, die die Wiedergabequalität verbessern wird, bzw. anpassungsfähiger macht. Der „Loudness War“ hat lange Zeit für Unmut gesorgt. „Wer schreit hat recht“ war die Maxime, wer lauter schreit, noch mehr. Es dröhnte aus allen Apparaten – aber freilich liefert die Industrie ja oft auch die entsprechende Musik dazu. Jetzt wird sukzessive die von der EBU 2010 veröffentlichte Empfehlung R128 zur Neubewertung der Aussteuerung von TV und Radioprogrammen umgesetzt. In den USA und in Frankreich gibt es sogar verpflichtende Gesetze dazu. Und tatsächlich kann man sagen, dass seitdem sich deutsche TV-Sender vor zwei Jahren über die Umsetzung von R128 verständigt haben, der Ton wieder besser geworden ist. Meistens jedenfalls. Aktuell ist auch der Hörfunk dabei, die Lautheit in den Griff zu bekommen. Das ist manchmal leichter, manchmal aufwändiger. Bei Kultur- und Musikprogrammen, dort wo das Publikum die höchsten Ansprüche an Audioqualität hat, entgegen mancher Erwartungen sogar am schwierigsten, denn sie sind extrem heterogen. In einem tagesbegleitenden Programm mit klassischer Musik setzen die Programmgestalter schon mal eine intime Bach Partita für Violine-Solo direkt nach einer schmissigen Rossini Ouvertüre ein, während danach eine wuchtige Bruckner-Sinfonie folgt. Dazwischen wird ja auch noch moderiert. Die Differenzen von Laustärken, unterschiedlichen Räumen und Klangfarben kommen in der Natur so nicht vor. Für welche Hörer soll der Sendetechniker das aussteuern? Für die zu Hause mit einer hochwertigen Anlage? Oder die in der Küche sich gerade etwas brutzeln? Oder für jene, die bei 200 plus X Sachen über die Autobahn sausen? Momentan geht das nur über einen Mittelweg, der eine „hörgerechte Lautheit“ einigermaßen erzielen kann. Künftig kann das adaptiv geschehen, wenn wie Lautheitswerte der jeweiligen Stücke als Metadaten im Digitalradio mitgeliefert werden. Dann kann die Anpassung im jeweiligen Gerät stattfinden: optimale Ausnutzung einer möglichst vollen Dynamik im stillen Wohnzimmer, mehr nivelliert und komprimiert in geräuschvoller Umgebung. Und hoffentlich alle werden dann zufrieden sein. Und schließlich steht die nächste Innovation vor der Tür: Die Abkehr von der kanalbasierten Wiedergabe (Mono – Stereo – 5.1 – 7.2 bis 22.2), hin zur objekt-orientierten Produktion, Verbreitung und Wiedergabe. Es ist schon beeindruckend, welche Klangfelder IOSONO oder DOLBY ATMOS erzeugen. Freilich ist das momentan noch auf große Publikums-Vorführungen wie bei den Bregenzer Festpielen oder Kinos beschränkt. Doch auch das wird in nicht allzu ferner Zukunkt nach Hause kommen, etwas kleiner dimensioniert, gewiss, und miniaturisiert sogar in Personal Audio Geräten über Kopfhörer, virtualisiert Räume erzeugen. Es gibt dazu bereits erste erstaunliche Anwendungen, entwickelt bei der BBC und bei Radio France.