Ein Gericht in den USA hat entschieden, dass Musikfiles nicht weiterverkauft werden dürfen: Aber hallo! Amazon hat 2009 eine Digitalausgabe von Orwells 1984 ferngesteuer von den Kindles seiner Kunden gelöscht: Ja dürfen die das? Wie ist das mit Eigentum und Besitz von digitalen Ausgaben von Musik, Büchern, Filmen….Findet da wirklich eine „Stille Enteignung“ statt, wie in einem Feuilletonartikel der Süddeutschen-Zeitung behauptet – oder hatten die Konsumenten nicht seit jeher nur ein Nutzungsrecht?
In der Print-SZ und hier macht sich Jan Füchtjohann Gedanken darüber, ob wir – die Nutzer – inzwischen nicht „stillschweigend enteignet“ werden. Ob also Käufer von Musikdateien oder E-Books also überhaupt noch das „besitzen“, wofür sie bezahlen. Hintergrund und Anlass für den Einspalter im Feuilleton sind eine Gerichtsentscheidung in den USA, wonach es untersagt wurde, Musikdateien auf einem Privatrechner weiterzuverkaufen und jene denkwürdige Geschichte, dass Amazon bereits 2009 eine digitale Ausgabe von George Orwells „1984“ ohne Ankündigung von den Kindles der Kunden so einfach mal wieder gelöscht – wenngleich den Kaufbetrag dann auch rückerstattet hat. Am Schluss stellt der Autor, scheinbar empört, fest, dass da inzwischen „an dem schönen kommunistischen Versprechen des Internets, demzufolge bald jeder Zugang zu allem hat, dafür aber niemandem mehr etwas gehört, … also einige wichtige Korrekturen vorgenommen“ worden seien. Und: „Tatsächlich haben immer mehr Menschen immer mehr Zugang zu immer mehr Inhalten – die ihnen immer weniger gehören. Die Nutzer sind also endlich befreit: vom Ballast ihrer CD-Regale, ihrem Besitz und ihren Rechten. Aus einem Tal im sonnigen Kalifornien hört man ein sattes, zufriedenes Lachen.“….
Mag ja sein, dass in Kalifornien viel gelacht wird – aber wohl weniger wegen der Frage, wem kommerzialisierte digitale Musik oder Literatur gehört, oder in welcher Erscheinungsform Werke der Musik und Literatur erscheinen, verbreitet, verkauft oder gar weiterveräußert werden.
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit
Diese Fragen sind seit Jahrhunderten spannend, seit Erfindung des Buchdrucks, der Fotografie, des Grammophons, des Films…Kurzum seit das Kunstwerk mit dem „Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ konfrontiert ist. Aber es muss jetzt nicht der legendäre Aufsatz Walter Benjamins weiter herangezogen werden, um mit einem weit verbreiteten, aber eben leider deswegen doch nicht richtigen Trugschluss aufzuräumen:
Uns, den Käufern von echten Büchern mit Hardcover oder Softcover, Vinyl-Schallplatten und CDs, Videokassetten oder DVDs, also jeglichen massenangefertigten und verbreiteten Kunstwerken, haben die technisch so reproduzierten Werke noch nie „gehört“. Fernab der Unterscheidung zwischen „Eigentum“ und „Besitz“ hatten – und haben – wir seit jeher nur das Nutzungsrecht, alle diese Dinge zu lesen, zu hören, zu sehen. Bücher, Schallplatten, DVDs sind eben nur „Medien“ und überbringen Botschaften, Klänge und Bilder die in und auf ihnen gespeichert wurde.
Wo und was ist das Werk?
In der Kunstphilosophie wurden zur „Ontologie des Werkes“ tausende Seiten verfasst. Dabei dreht es sich eigentlich immer nur darum: Wie ist das mit – sagen wir mal – Beethovens 5. Sinfonie? Was ist diese Sinfonie? Und wo ist sie? Jenseits der Idee, die Beethoven musikalisch formuliert hat dahinter (hat sie überhaupt eine außermusikalische Idee, ähnlich der fast zeitgleich entstandenen 6. Sinfonie, der „Pastorale“, die als Prototyp der Programmmusik gilt) gibt es in der materiellen Welt Skizzenblätter, auf denen Beethoven seine Ideen hingekritzelt hat. Dann eine Partitur – ebenfalls von Hand. Beim Verleger, der sie zur Veröffentlichung bekam, entstanden etliche „Kopien“ – wieder handschriftlich. Dann erschien sie gedruckt, in zig verschiedenen Ausgaben (die alle nicht bis auf die letzte Note identisch sind). Seit der ersten Gesamtaufnahme für Schellack (1913 Arthur Nikisch mit den Berliner Philharmonikern) unzählig viele weitere für Vinyl, CD, DVD-Audio, SACD, sowie Video usw. usw. Aber bitte: Was und wo ist das Werk? Besitze ich 5 mal Beethovens 5. nur weil ich 5 Aufnahmen im Regal stehen habe.? Okay: 5 verschiedene „Interpretationen“.
In der Popmusik ist das aber auch nur dem Anschein nach anders. Da gibt es vielleicht keine Partitur vorher, weil die Musik im kreativen Prozess der Beteiligten entsteht. Aber auch da die Frage: Was ist das Werk? Das Tonband bei den Beatles, oder das Garageband-File einer selbsteingespielten Cover-Version auf meinem Rechner? Und wenn ich den Mix nun verkaufe, gehört mir die Musik dann nicht mehr? Oder welcher Anteil? Für die Komposition erhalten die Rechteverwalter von Lennon/McCartney bis zu 70 Jahre nach deren Tod noch Urheberrechts-Tantiemen. Und wer’s covered bekommt Leistungsschutzrechte vergütet.
Das war und ist der Preis, für den der Nutzer zahlt: Für die diversen Rechte und Tantiemen – und für Herstellung und Vertrieb eines physischen Produkts. Verändert hat sich seit iTunes, Amazon, etc. vor allem letzteres – und damit die Geschäftsmodelle, die versuchen, dieser veränderten Erscheinungsform des „immateriell“ reproduzierten und kopierten Werkes Rechnung zu tragen. Es sind halt nur noch Dateien im binären Code, die durch – immer noch physische – Leitungen fließen oder mehr ganz einfach in der Luft zu liegen scheinen.
Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte
Gleichwohl: Auch früher schon, zu Vinyl-Zeiten, hatte man mit dem Erwerb eine Schallplatte nur das Nutzungsrecht erhalten. Das wurde dem „Tonträger“ (genau das war und ist er nämlich nur: er „trägt den Ton“) aufgedruckt mitgegeben. Da stand bis in die 60er Jahre knallhart: „Überspielung, öffentliche Aufführung und Rundfunksendung verboten“. Später, nachdem das Urheberrecht die Privatkopie zugestand, wurde ergänzt „außer zum persönlichen Gebrauch“. Nur: Damals ließ sich das nicht so genau kontrollieren, was damit alles – unerlaubtes? – geschah. Heute lassen sich überall Footprints aufspüren – auch ohne dass man den Dateien digitale Wasserzeichen einsetzt. Suchalgorithmen und schiere Rechenleistung genügen.
Allein die Idee, man könne digitale erworbene Musikdateien weiterverkaufen, erscheint mir persönlich zum einen schrecklich analog, zugleich fürchterlich knauserig, und eigentlich auch völlig absurd: Für was würde ich da überhaupt bezahlen? Ich bekäme ja keinerlei „materiellen Gegenwert“: Kein Cover, Booklet, nicht einmal das schöne (aber außerhalb von Spezialistenkreisen auch völlig bedeutungslose) Gefühl, im Idealfall eine Erstausgabe oder ein seltenes Sammlerstück zu erwerben.
Insofern könnte die Digitalisierung eine im Zuge von Post-68 geführte Diskussion neu entzünden: Die Frage nach dem Gebrauchswert von Kunst, oder nach ihrem ideellen Wert – letztlich aber die Frage nach ihrem „Wa(h)ren-Wert“.
Hallo Herr Bleisteiner,
sehr interessanter Artikel. Ich bin ziemlicher Laie auf diesem Gebiet . Nach der Lektüre Ihres Artikels habe ich allerdings den Eindruck, dass ich noch weniger durchblicke als vorher. Ich nehem das zunächst mal gelassen.
Herzlichen Gruß
Das könne. Sie auch getrost, denn in der materiellen Welt bleibt alles wie es war.
Nur fällt halt jetzt auf, dass für die Annehmlichkeiten universeller Verfügbarkeit in der digitalen Wolke Abstriche zu machen sind. Und dass die Ursachen dafür mit Wesen und Erscheinungsform reproduzierter Kunstwerke zu tun haben, weil wir meinen, sie mit dem Erwerb zu besitzen.