Genug geprasst – Telekom beerdigt Flatrate

20130422-225333.jpgQuelle: wb

So ein Zufall: Der erste Artikel von SpiegelOnline hatte eine Telekom-Anzeige.
(aber mobil macht das Surfen zumindest in Großstädten leider längst keinen Spass mehr.)

Vor  4 Wochen brachte es Spiegel Online als Gerücht – jetzt ist es offiziell: Die Telekom schraubt am Internet-Hahn. In einer Pressemitteilung vom 22.4.2013 wird der Geschäftsführer Marketing der Telekom Deutschland, Michael Hagsphil mit den Worten zitiert:

„Immer höhere Bandbreiten lassen sich aber nicht mit immer niedrigeren Preisen finanzieren. Den Kunden mit sehr hohem Datenaufkommen werden wir in Zukunft mehr berechnen müssen.“

Demnach werden bei Neuverträgen ab Mai Volumenbegrenzungen eingeführt. Wer über einen DSL-Anschluss mit „Geschwindigkeiten bis zu 16 Mbit“ dann das  Limit von 75 Gigabyte überschreitet, wird die Geschwindigkeit  bis Monatsende auf 384kbit/s gedrosselt. Bei „Geschwindigkeiten bis zu 200 Mbit sind es 400 Gigabyte. Entscheidend ist: „Die Nutzung von Entertain wird nicht auf das im Tarif enthaltene Volumen angerechnet.“

Ein neues Geschäftsmodell? Oder ein strategischer Schachzug…

Dass da etwas im Busch ist, deutete sich bei den Münchner Medientagen 2012 an:

Beim Mediengipfel klagte Telekom-Chef René Obermann, dass im Internet immmer alls und sofort funktionieren soll – aber keiner dafür bezahlen will. 300 Milliarden Euro müssten für den Ausbau des Internet investiert werden, damit der ständig anschwellende Datenstrom verkraftet werden kann. Und wenn die Regulierungsbehörden nicht in der Lage sind, die Anbieter – Obermann nannte Google, mit Blick auf dessen Videoportal Youtube – in die Pflicht zu nehmen, damit sie sich an den Kosten beteiligten, bleibt einem Infrastrukturanbieter wie der Telekom nichts anderes übrig, die Ausbaukosten seinen Kunden in Rechnung zu stellen.

René Obermann (Foto: Medientage München)Quelle: http://www.medientage.de//db_media/mediathek/foto/resize/700x600/datei/205992/12_bild_2012_1351078322.jpg

René Obermann (Foto: Medientage München)

Das Thema der Eröffnungsveranstaltung lautete: „Weichen stellen – Die neuen Gesetze der Medienwelt“. Nun, die neuen Gesetze der Telekom bei DSL könnten jetzt das Ende Flatrate bedeuten, wie sie seit Einführung der DSL-Technik Gang und Gäbe war.

Tatsache ist, dass in den USA der IPTV Anbieter Netflix allein ein Drittel des Festnetz-Internet-Traffics erzeugt, wie Sandvine im November 2012 in seinem Global Internet Phenomena Report festgestellt hat. Insgesamt macht Audio- und Video-Streaming inzwischen 65% des Datenverkehrs aus. Laut der Studie hat jeder US-Haushalt im Monat 51GB an Daten über Festnetz transferiert. Ähnliche Trends sind auch in Europa zu beobachten. Der Datenkonsum wächst schneller als die Netze ausgebaut werden.

384 kbit/s – das klingt zunächst mal wie ein Rückfall in die 90er Jahre. Freilich lässt sich die Begrenzung ganz einfach durch Zuzahlung oder Tarifwechsel wieder aufheben. Es geht also darum, dass der bisherige Preiskampf für beendet beendet. Denn mit 82% Breitbandanschlüssen in deutschen Haushalten (Bitkom) erscheint eine Marktsättigung im Festnetz erreicht. Hinzu kommt, dass stationäres Internet durch den Niedergang des PC-Geschäfts wohl auch nicht mehr allzu viel Perspektiven eröffnet. Ausserdem: Solange nicht intensiv IPTV und Streaming Angebote genutzt werden, werden viel Kunden die gesetzten Datenvolumina nicht so schnell überschreiten. Und die Datenbeschränkungen gelten ja nicht für den IPTV-Konsum im eigenen Entertain-Angebot. Der wiederum hat  – laut Digitalisierungsbericht 2012 der Medienanstalten –  mit 4% im Vergleich zu den klassischen Rundfunkverbreitungswegen noch deutliches Entwicklungspotential – soll also daher auch nicht abgewürgt werden. Immerhin zahlen die Kunden ja monatlich freiwillig Geld etwas, was sie aus OnAir und in Kombination mit dem herkömmlichen Internet via HybridTV auch (fast) umsonst bekommen könnten. Daher steckt also hinter den Volumenbegrenzungen für DSL auch eine Marketingoffensive für Telekom Entertain. Angebote, zum bestehenden normalen Anschluss IPTV hinzu zu buchen, werden nicht lange auf sich warten lassen.

Das gilt als Angriff auf die Netzneutralität, die Verbraucherschützer und Politiker fordern. Die eigenen Datenpakete unkontingentiert durchzuleiten würde eine Wettbewerbsverzerrung bedeuten, die dann allerdings auch kartellrechtlich zu überprüfen wäre. Nur in zwei europäischen Ländern – Norwegen und den Niederlanden – wurde Netzneutralität bisher gesetzlich verankert. Die Europäische Union als Ganzes hingegen vertraut derzeit noch auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes. Folgen andere Internetanbieter dem Beispiel der Telekom und werden nicht rechtzeitg gesetzliche Regelungen verabschiedet, droht in der Tat die Rückkehr zu porprietärem Internet: Je nach Anbieter könnten dann einzelne Dienste erlaubt oder verboten sein. Aktuell ist das jedenfalls bei Telekom Entertain der Fall, da sie den von öffentlich-rechtlichen wie privaten Rundfunkanstalten in Europa sowie fast allen internationalen Unterhaltungselektronikherstellern angebotenen HbbTV-Standard nicht integrieren.

Unbestritten ist, dass die flächendeckende Umstellung auf Glasfasertechnik Millionen kosten wird. Gleichzeitig aber findet die Internetnutzung immer mehr auf mobilen Endgeräten statt. Interessanter und langfristig lukrativer erscheint es für die Anbieter, den High-Speed-Mobilfunk zu forcieren. Momentan benötigen Smartphonenutzer in Deutschland pro Monat laut Statista durchschnittlich noch 200 MB – Netzbetreiber rechnen damit, dass es 2017 3 GB sein werden.

Dennoch sieht die DSL-Wirklichkeit ja etwas anders aus, wie die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der im Auftrag der Bundesnetzagentur erstellte Geschwindigkeitsmessungen ergaben: Nur bei 20% der Kunden kommt die im Vertrag genannte maximale Bandbreite tatsächlich aus der Dose – wohingegen sich ein Drittel mit maximal der halben Geschwindigkeit zufrieden geben müssen. Am sprichwörtlichen ‚Ende der Leitung‘ zu sitzen ist also nicht ’so ein Gefühl‘.

Quelle: wb

Noch so ein schöner Zufall.

2 Gedanken zu „Genug geprasst – Telekom beerdigt Flatrate

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